Der Bahnhof Wutha
(Wegpunkt "Bahnhof Wutha", Koordinaten
N 50° 57.415 E 010° 23.766)
Sieben Jahre nach Inbetriebnahme der Strecke Erfurt-Eisenach der
Thüringer Bahn wurde 1854 für Wutha eine Haltestelle eingerichtet. Erste
Industrieansiedlungen in dem bis dahin unbedeutenden Örtchen gaben
vermutlich den Ausschlag. Zwei Bahnsteige und eine Wartehalle reichten
für den Anfang. 1873 errichtete die Thüringische Eisenbahn-Gesellschaft
das heute noch existierende Empfangsgebäude.
Durch den Bau der Rühler Bimmel mit Gleisanschluss an die Thüringer Bahn
wurde 1880 die Haltestelle zum Bahnhof hochgestuft und ein
Güterschuppen sowie eine Beladestraße gebaut.
Gleisplan
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Für den Personenverkehr von und nach Thal und Ruhla war der Wuthaer
Bahnhof stets ein Umsteigebahnhof. Wartezeiten auf die Anschlusszüge
bescherten dem benachbarten und heute noch existierenden Gasthof
Bamberger mit seinem Biergarten so manchen zusätzlichen Gast.
Einzig in den 1960er Jahren wurden Zugfahrten zum Besuch des Eisenacher
Theaters durchgeführt, bei denen die Fahrgäste nicht umsteigen mussten.
Durch die Stilllegung der Rühler Bimmel 1967 ging die betriebliche
Bedeutung des Bahnhofs nicht zurück. Im Gegenteil, für den Güterverkehr
nahm sie weiter zu. Die Waren des Erbstromtals mussten nun hier verladen
werden. Die Verladerampen der Landmaschinenfabrik Petkus Wutha wurden
um ein überdachtes Güterabfertigungsgebäude erweitert. Der Güterbahnhof
Eisenach musste wegen der zunehmenden PKW-Verladung durch das
Wartburg-Automobilwerk entlastet werden. In den 1970er Jahren entstanden
östlich vom Bahnhof Futter- und Düngemittel-Lagerhallen und ein
Holz-Verladeplatz mit Gleisanschluss. Auch ein Braunkohleheizkraftwerk
und ein Betonwerk, zwischen Wutha und Schönau gelegen, wurden seit den
80er Jahren auf dem Schienenweg versorgt. Der Antransport der
industriell vorgefertigten Platten für die Plattenbau-Wohngebiete in
Wutha und Seebach erfolgte ebenfalls über den Gleisanschluss Wutha. Der
Güterverkehr wurde 1993 eingestellt.
Bild 1: Empfangsgebäude heute
Mitte der 1990er Jahre wurde das Bahnhofsgebäude nach und nach
stillgelegt und der Fahrkartenverkauf durch Automaten ersetzt. Im Winter
und bei den damals noch häufigeren Verspätungen war der Verlust des
Wartesaals besonders ärgerlich. Auch die lokal beliebte Bahnhofskneipe
musste schließen.
Spuren
200 Meter östlich des Bahnhofsgebäudes (Wegpunkt "Rangiergleisbereich", Koordinaten
N 50° 57.367 E 010° 23.909)
befanden sich früher der Anschluss an die Hauptstrecke Erfurt-Eisenach und das Gelände des Rangiergleisbereiches.
Trotz zunehmendem Bewuchs ist an vielen Stellen noch der Gleisschotter erkennbar. Das
gesamte Gelände liegt etwas höher als die umgebenden Flächen. Richtung
Osten verläuft der alte Bahndamm zum ehemaligen Braunkohleheizkraftwerk
parallel zur Hauptstrecke Eisenach-Erfurt.
Der Bahnsteig für die Bimmel Richtung Ruhla befanden sich auf Höhe des
Bahnhofgebäudes, da, wo heute eine Art Verkehrsinsel mit Bäumen
bepflanzt ist. Die Gleise verliefen dann in westlicher Richtung auf der
heutigen Zufahrt zu einer Firma.
Bild 2: Der Bimmelbahnsteig.
Im Hintergrund das Hotel Bamberger Hof.
Bild 3: Der Gleisverlauf (rote Fläche) Richtung Westen.
Spuren auf dem Weg Richtung Ruhla
Bild 4: Erbstrombrücke (Vordergrund)
und Straßenübergang und Petkus (Hintergrund)
Schon nach 200 Metern überquerte die Rühler Bimmel den Erbstrom. Die
Betonfundamente dieser Brücke sind noch vorhanden und gut sichtbar. An
dieser Stelle (Wegpunkt "Erbstrombrücke", Koordinaten
N 50° 57.445 E 010° 23.610)
gibt es aber noch VIEL mehr zu sehen. Da hier in unmittelbarer
Nähe auf öffentlichem Grund ein altes
Bild 5: Fundamentreste der Erbstrombrücke
Lichtsignal aus den 60er Jahren an originaler Stelle steht und ein letztes Gleisstück in der Straßendecke der B7 bis
zur Fahrbahnerneuerung vor wenigen Jahren "überlebt" hatte, hat man
diese Stelle zur Gedenkstätte an die Rühler Bimmel erweitert. Ein Paar
alte Signale wurden hinzugestellt, das Gleisstück des B7-Übergangs auf
der ehemaligen Trasse neu verlegt und sehr informative und reichlich
bebilderte Schautafeln über die Rühler Bimmel errichtet.
Die zwei Eisenbahnsignale bei den Schautafeln sind zwei Formsignale des H/V-Systems, das seit 1924 in Deutschland eingesetzt wird. Das Vorsignal mit der orangefarbenen Scheibe zeigt "Halt erwarten" an. Das Hauptsignal mit den zwei Signalflügeln schräg nach rechts aufwärts bedeutet "Langsamfahrt" (40 km/h). Beide haben meiner Meinung nach nichts mit der Rühler Bimmel zu tun, könnten aber aus dem Bereich des Wuthaer Bahnhofes stammen.
Bild 6: Der Streckenverlauf durch Wutha (Blick vom kleinen Hörselberg).
Bild 7: Der Streckenverlauf durch Wutha (Luftaufnahme).
Bild 8: Gleisverlauf (rote Fläche) nach der B7-Querung
Im weiteren Verlauf machte die Trasse einen Bogen Richtung Süden - gut
erkennbar an dem Wallhang zum Park hin und einem alten Signal mit
Betonpfeiler. Dann überquerte sie diagonal die Fernverkehrsstraße F7
(heute B7). Hier gab es ab 1956 eine automatische Halbschranke. An den
zwei schräg zur Straßenflucht stehenden Häusern und deren
Grundstückseinfassungen kann den Trassenverlauf auf das Firmengelände
des ehemaligen Spezialmaschinenbaus Gebrüder Röber - später Petkus
Landmaschinenwerk - verfolgt werden. Dieses besaß bei Kilometer 0,5
einen eigenen Gleisanschluss (Wegpunkt "Gleisanschluss W1", Koordinaten
N 50° 57.370 E 010° 23.435), der von Süden kommend direkt in den Hof
des heute noch erhaltenen historischen Ziegelsteinbaus führte. Auf dem
Gelände des heutigen Gewerbegebietes gibt es keine weiteren Spuren - hier wurde alles neu gebaut.
Um dem ehemaligen Trassenverlauf weiter folgen zu können, begibt man sich erst
noch knapp 200 Meter Richtung Westen bzw. Eisenach und dann nach links
bzw. Süden Richtung Mosbach.
Bild 10:
Edmondsonsche
Fahrkarte
Bild 9:
Fahrkartenschrank
Edmondsonsche Fahrkarten
Ihr Erfinder Thomas Edmondson war 1836 Stationsvorsteher auf einer
englischen Eisenbahnlinie. Er war mit den bis dahin üblichen und zum
Teil erst bei Ausgabe beschrifteten Zetteln unzufrieden. Er baute eine
Handpresse, mit der man kleine Pappkartone mit der Fahrtstrecke und
Tarifangaben auf Vorrat bedrucken konnte. Eine Durchnummerierung
erleichterte die Abrechnung. Aufbewart wurden sie in einem speziellen
Fahrkartenschrank.
Der Direktor der Eisenbahnlinie erkannte den Nutzen der Erfindung,
beförderte Edmondson ebenfalls zum Direktor und führte das System auf
der ganzen Linie ein. Mit den Patenten auf seine Erfindungen gründete Edmondson
eine Fahrkartenfabrik. Bis ca. 1850 setzte sich das System auch im
Ausland durch. Das einheitliche Fahrkartenformat betrug 30 mal 57
Millimeter.
Farbige oder mit Farbstreifen bedruckte Pappkärtchen dienten später
dazu, die Wagenklassen oder Sondertarife besser erkenntlich zu machen.
Ab 1900 wurden sie an den Hauptstrecken nicht mehr auf Vorrat, sondern
am Fahrkartenschalter bedruckt.
Spätestens seit den 1980er Jahre wurden die "Pappfahrkarten" von
größeren Papierfahrkarten verdrängt. Vereinzelt findet man sie noch bei
Museumsbahnen.
Auch auf der Ruhlaer Eisenbahn wurden die Edmondsonsche Fahrkarten bis zu letzt verwendet. Leider sind nur noch sehr wenige Exemplare vorhanden.
Mosbachbrücke
Am Wegpunkt "Mosbachbrücke" (Koordinaten
N 50° 57.099 E 010° 23.320)
überquerte die Rühler Bimmel den Mosbach, nach dem auch
der Erholungsort an seinem Oberlauf benannt ist. Von ehemaligen
Petkus-Gelände und neben der Mosbacher Straße kommend führte die Trasse
über den Zufahrtsweg zu den zwei Neubaublocks und durch den südlichen
Block "hindurch" in einer leichten S-Kurve über die Brücke Richtung
Farnroda. Damals befanden sich links und rechts des Baches nur Wiesen
und Felder.
Bild 11: Damals gab es hier nur Wiesen
rund um die Mosbachbrücke.
Bild 12: Der Gleisverlauf (rote Fläche) an der Mosbachbrücke.
Ein Verwandter, der die Rühler Bimmel noch miterlebte, erzähle mir, dass
er und andere Jugendliche sich damals den Spaß machten, während der
Fahrt abzuspringen, Blumen zu pflücken und sie nach dem
Wiederaufspringen dann den Mädchen im Zug zu überreichen. Die geringe
Geschwindigkeit der Züge von maximal 30 km/h - im Durchschnitt wohl eher
25 km/h - machte dies möglich.
Bild 13: Luftbild eines unter Volldampf stehenden Zuges
an der Steigung zwischen Wutha und Farnroda
© GeoBasisDE / TLVermGeo www.thueringen.de/vermessung/
Bild 14: Ein weiterer Unfall an der F7
in den 1950er Jahren.
Alte Wege
Beim Bau der Rühler Bimmel mussten ca. 25 Übergänge für vorhandene Wege
und Landstraßen angelegt werden. Die Übergänge waren unbewacht und
unbeschrankt, bis auf den für die frühere F7 - heute B7, der ab 1956 mit
einer automatischen Halbschranke gesichert wurde.
Just dieser Übergang auf der Straße nach Eisenach war Ort eines
Personenunfalls auf der Strecke. Der Farnrodaer August Rauh wurde mit
seinem Leiterwagen von einer Lok erfasst und verstarb.
Um Unfälle dieser Art an den unbeschrankten Übergängen zu vermeiden,
mussten die Lokführer jedes Mal Pfeifsignale geben und gut aufpassen.
Und die vergleichsweise geringe Fahrgeschwindigkeit war sicherlich
hilfreich. Das häufige Pfeifen prägte im Volksmund wohl auch den Namen
"Bimmel".
Der Weg (grün) auf einer alten Karte.
Spuren
Bild 15: Der alte Weg auf halber Höhe.
Am Wegpunkt "alter Weg" (Koordinaten
N 50° 56.882 E 010° 23.343)
ist ein alter kreuzender Weg mit etwas
Vorstellungskraft noch gut im Gelände zu erkennen. Auf der westlichen
Seite der Strecke parallel aus Richtung Norden kommend - ca. 1 bis 2
Meter höher gelegen - überquerte er hier die Gleise und verlief dann
ebenfalls fast parallel und etwas abfallend weiter Richtung Farnroda.
Auf dem nebenstehenden Ausschnitt der alten topografischen Karte ist der
grün markierte Weg eingezeichnet. Ob der Weg vor dem Bau der Strecke
schon diesen Verlauf hatte oder erst so verlegt wurde, läst sich nicht
mehr sicher feststellen.
Nach dem Rückbau der Strecke zu einem komfortablen Weg (heute
hauptsächlich als Fuß und Radweg genutzt) verlor dieser alte Weg seine
Nutzung und Bedeutung, wuchs zu und wurde zum Teil geschliffen,
zugeschüttet und bebaut.
Die Trasse der Rühler Bimmel wurde damals auch für den Bau neuer
moderner "Wege" - den Kommunikationswegen - genutzt. Auf vielen alten
Aufnahmen der Rühler Bimmel sind Masten zu sehen, zwischen denen
Telegraphen- und später Telefonleitungen gespannt wurden. Als sie dann
nicht mehr benötigt wurden, hat man sie oft einfach abgesägt. An wenigen
geschützten Stellen, wie hier, sind die Füße der Holzmasten
noch vorhanden und sichtbar.
Ebenfalls an dieser Stelle ragt ein rot lackiertes Schienenstück ca. 10 cm aus dem Boden.
Nach mündlicher Überlieferung soll es sich um einen Höhenmesspunkt der Rühler Bimmel handeln. Lage und
Beschaffenheit sprechen dafür. Er könnte z.B. bei der Dammaufschüttung und dem Gleisverlegen benutzt worden sein,
um eine gleichmäßige Steigung zu erreichen oder um Setzungen des Dammes zu erkennen.
Bild 16: Höhenmesspunkt
Spuren auf dem Weg Richtung Ruhla
Bild 17: Materialherkunft für den Dammbau.
Dammbau
In dem Abschnitt ca. 200 Meter ab dem Wegpunkt "alter Weg" in Richtung Ruhla bis zu
den ersten Häusern von Farnroda neben der Strecke (Wegpunkt "Dammbau", Koordinaten
N 50° 56.619 E 010° 23.354) kann man sehr gut den
aufgeschütteten Bahndamm und seine Materialherkunft sehen. Man hat
einfach vom Hang oberhalb der Trasse eine ca. 1 bis 2 Meter dicke
Erdschicht abgetragen und damit den Damm gebildet. Der schwarze Pfeil im
nebenstehenden Bild soll diese Materialbewegung verdeutlichen. Vom
Geländeanschnitt übrig geblieben ist eine steile Böschungskante, die
einige Meter oberhalb parallel zur alten Bahnstrecke verläuft.
Wie man damals allerdings in der kurzen Zeit zwischen Bau und
Inbetriebnahme von 4 Monaten den aufgeschütteten Damm so verfestigen
konnte, dass man mit schweren Lokomotiven darüber fahren konnte, bleibt
mir ein Rätsel. Heute übliches schweres technisches Gerät gab es damals
noch nicht.
altes Schienenstück
Am Wegpunkt "Schiene" (Koordinaten
N 50° 56.549 E 010° 23.349)
findet man ein ca. 2 Meter langes altes Schienenstück hochkant als
Grenzmarkierung. Glücklicher Weise ist sogar das Walzzeichen zu sehen:
"UNION 1902". UNION steht für den Hersteller Union, AG für Bergbau, Eisen- und
Stahl-Industrie (Dortmunder Union). Die Jahreszahl läst auf einen
späteren Austausch der Schienen schließen. Es wurden mit der Zeit immer
kräftigere Lokomotiven eingesetzt, die aber wiederum qualitativ
hochwertigere Schienen (Stahl) erforderten.
Textquellen
[Rockstuhl] Rockstuhl, Harald: Die Geschichte der Ruhlaer Eisenbahn, "Rühler Bimmel" 1880 - 1967; Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza, 1997,
ISBN 3-929000-62-8
[Wikipedia] Wikipedia, Bahnhof Wutha, URL http://de.wikipedia.org/wiki/Bahnhof_Wutha, abgerufen am 30.10.2012
Bildquellen
Bild 1, 3, 5, 8, 12, 15, 16, 17: Andre Geyer, Wutha-Farnroda
Bild 2, 6: Sammlung Horst Rödger, Wutha-Farnroda
Bild 10: Sammlung Matthias Krettek, Ruhla
Bild 9: "DB Museum train tickets" von Arnoldius - Eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:DB_Museum_train_tickets.jpg#mediaviewer/Datei:DB_Museum_train_tickets.jpg
Bild 4, 14: Inge Malsch, Wutha-Farnroda
Bild 7: Sammlung Wolfgang Bruder, Wutha-Farnroda
Bild 11: Günter Meyer, Zwickau
Bild 13: © GeoBasisDE / TLVermGeo www.thueringen.de/vermessung/
Mit freundlicher Genehmigung der Urheber bzw. Eigentümer.